Hermann Todesco
das ist Hirschl Todesco
geb. Wien, am 2. November 1791 (fälschlich bisweilen 1792; nach anderen Quellen in Bratislava geboren)
gest. Wien, am 23. November 1844
Großindustrieller, Bankier und Philanthrop, Wiederbegründer der Textilfabrik Marienthal
Unterschrift
Hermann Todesco
Hermann Todesco war Sohn jüdischer Eltern und wurde teils in Wien, teils in Pozsony / Preßburg (Ungarn; Bratislava, Slowakei), der Geburtsstadt seines Vaters, zum Händler ausgebildet. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, ein kleines Weißwarengeschäft zu errichten, war er seit 1824 Inhaber eines bald großen, weit verzweigten Seiden- und Garngeschäfts sowie des nach ihm benannten Bankhauses in Wien, für das er am 9. Juni 1824 die Großhandelsbefugnis erhielt. 1836 erwarb er ein bedeutendes Staatsgut in Legnaro (Veneto) bei Padua (Padova), das unter seiner Leitung ein landwirtschaftliches Mustergut für Seidenraupenzucht wurde; hier hatte er bereits 1812 das architektonische Kleinod Corte Benedettina erworben. Todesco war Aktionär und Mitglied des Bankausschusses der Priv. österreichischen National-Bank und zahlreicher Vereine, darunter auch des Niederösterreichischen Gewerb-Vereins.
Im Dezember 1832 kaufte Todesco die stillgelegte Fabrik Marienthal, ließ die ehemalige Theresienmühle abreißen und an deren Stelle 1833 einen U-förmig gruppierten, dreigeschossigen Gebäudekomplex mit dem ersten Ziegeldach Gramatneusiedls errichten (Altgebäude): Parallel zum Feilbach standen zwei Längsgebäude, deren südlich gelegenes mit einem Wasserrad zur Energiegewinnung ausgestattet war. Der westlich gelegene Mitteltrakt beherbergte das herrschaftliche Wohngebäude, der südliche und der nördliche Trakt Teile der Fabrik sowie Wohnräume für die Arbeiter und Arbeiterinnen. Für die nächsten dreizehn Jahre war in diesem Gebäudekomplex die rasch erfolgreiche, bereits am 5. Juli 1830 protokollierte »k(aiserlich) k(önigliche) priv(ilegierte) Marienthaler Baumwoll-Gespinnst und Woll-Waaren-Manufactur-Fabrik Hermann Todesco« untergebracht. Der gesamte Komplex besteht noch heute, allerdings 1846 vergrößert und zu einem zusammenhängenden Wohnhaus umgebaut: das so genannte Altgebäude; der südliche Trakt und ein Teil des Mitteltrakts wurden allerdings 2005 abgerissen. Hermann Todesco, der gemeinsam mit seinen Söhnen verschiedene Länder bereiste, um dort das Fabrik- und Maschinenwesen zu studieren, führte zahlreiche technische Neuerungen ein und versuchte vornehmlich, den Produktionsprozess zu rationalisieren. 1835 bestand die Fabrik aus einer Baumwollspinnerei mit 6.500 Spindeln und aus einer Maschinenweberei mit achtzig Webstühlen, drei Schlicht- und mehreren Raumaschinen. Am Ende der Ära Hermann Todesco erzeugte die Fabrik 200.612 Wiener Pfund Baumwollgarn und Zwirn jährlich und betrieb 7.500 Spindeln. 1835 beschäftigte die Spinnerei 286 und die Weberei dreiundsiebzig Arbeiter und Arbeiterinnen, 1841 allerdings nur mehr insgesamt 137 und 1843 genau 140, davon zweiundzwanzig Kinder im Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren. Dieser drastische Personalrückgang ist vor allem auf technische Neuerungen zurückzuführen.
Hermann Todesco betätigte sich gegenüber seinen Beschäftigten auch als Philanthrop, wobei er wohl eigene betriebliche Interessen mit seinem Verantwortungsgefühl als Patron verknüpfte. So ließ er für die Kinder seiner Arbeiter und Arbeiterinnen 1833 eine Fabrikschule einrichten. Sie wurde von den Gramatneusiedler Lehrern betreut und war zunächst vermutlich in einem Raum der Fabrik, seit 1846 in dem neu erbauten, eingeschossigen Haus am Feilbach untergebracht, dem Schulhof) untergebracht. 1885 wurde die Fabrikschule aufgelöst. Die zweite Einrichtung Todescos für seine Marienthaler Arbeiterschaft war eine Art Kindergarten, die Kinderbewahranstalt, welche aber auch für die Kinder aus Gramatneusiedl sowie die Nachbarorte Moosbrunn und Ebergassing gedacht war. Sie wurde in einem 1844 neu erbauten, eingeschossigen Haus in der heutigen Oberortsstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche St. Peter und Paul untergebracht und nach Todescos Tod, am 14. Mai 1845 eröffnet. Lange Zeit erinnerte eine hölzerne Gedenktafel an den Stifter der Kinderbewahranstalt. Nach der Fabrikstilllegung 1931 der Pfarre Moosbrunn übergeben, wurde sie unter der Bezeichnung »Kindergarten« von Salesianerinnen – deshalb im Volksmund auch »Stift« genannt – bis zur Schließung durch Nationalsozialisten 1939 weitergeführt.
Hermann Todesco, 1826 Mitbegründer des Wiener Tempels und 1844 Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, gelangte bald in den Ruf außergewöhnlicher Spendenfreudigkeit, wobei die von ihm gestifteten Summen unter den Zeitgenossen enormes Aufsehen erregten. Beispielsweise schenkte er 1843 Pozsony / Preßburg eine israelitische Schule, eine Knaben- und Mädchenschule sowie eine Kinderbewahranstalt; dem mächtigen Gebäude schloss er später noch ein Zinshaus für Arme an. Schließlich richtete er eine Hermann Todesco-Stiftung in Pozsony / Preßburg ein, aus der unter anderem 1846 in Baden bei Wien, Johannesgasse 10, eine Badeanstalt für (je zur Hälfte jüdische und christliche) arme Bedürftige errichtet wurde. Außerdem ließ er in seinen letzten Lebensjahren täglich fünfzig bis achtzig Arme ohne Unterschied der Konfession auf seine Kosten ausspeisen und schenkte dem Wiener Sankt-Josef-Spital eine Bettstiftung.
Kurz vor seinem Tod versuchte Hermann Todesco – allerdings vergeblich –, in den österreichischen Adelsstand erhoben zu werden. Einen bemerkenswerten Einblick gibt sein Brief vom 19. April 1844 an Denis Freiherrn von Eskels (1803–1867): »Da Sie so gefällig waren zur Erlangung des österreichischen Adels für mich zu interveniren, so beeile ich mich Ihnen hiermit die Versicherung zu geben, daß wen [!] die Adels Verleihung auf mein erstes bereits übereichtes Gesuch von jetzt bis Ende December 1845 erfolgt, ich Ihnen alle bey dieser Verhandlung erwachsenden Auslagen, und zwar ohne irgend einen Ausweis hierüber zu fordern bis zum Belaufe von Dreysig Tausend Gulden in Zwanziger bey herabgelangter allerhöchster Bestättigung sogleich mit Dank ersetzen werde. Von diesen [!] Betrag stelle ich nötigenfals auch früher Vier Tausend Gulden C[onventions] M[ünze] zu Ihrer gefälligen Verfügung.« (Handschriften-, Autographen- und Nachlass-Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien, Signatur 513/23-1.)
1812 hatte Hermann Todesco Fanny Hirschmann (1794–1822) geheiratet, mit der er sieben Kinder hatte: Max (1813–1890), Eduard (1814–1887), Minna »Fanny«, verheiratete Löwy (1815–1861), Anna »Netti«, verheiratete Porges (1815–1853), Moritz (1816–1873), Amalie, geschiedene Freiin von Springer, verheiratete Löwenstein (1820–1899), und Adolph Todesco (1822–1846). Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Hermann Todesco 1827 Hanchen Kaulla (1806–1870), die nach dem Tod ihres Ehemanns die Rücklegung der alten Großhandelsbefugnis und am 3. Juli 1845 die Auflösung der Firma verfügte, nachdem die Söhne Eduard und Moritz Todesco bereits mit 20. Januar 1845 eine neue Großhandelsbefugnis erhalten hatten. Die Marienthaler Fabrik übernahm dann jedoch der älteste Sohn Max Todesco in Form einer Neugründung des Unternehmens.
Hermann Todesco wurde auf dem Währinger Jüdischen Friedhof in Wien begraben; von seinem Grabstein existiert heute nur mehr der umgestürzte Mittelblock. An den Wiederbegründer der Marienthaler Textilfabrik erinnert heute noch in Gramatneusiedl ein Denkmal und die Hermann Todesco-Gasse.
Quelle Text und Bilder: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich an der Karl-Franzens-Universität Graz